Von Gunther Schnatmann
Sie gilt als kleine Schwester der Toskana. Landschaftlich mindestens genauso schön, mit sanften Hügeln zwischen dem Meer und den Bergen. Mit ebenso entzückenden Dörfern und Städtchen. Und mit einer mindestens ebenso guten Küche mitsamt der Weine. Nur: Die Region „Marken“ (italienisch „Marche“) südlich von Ancona zwischen Adria und Apennin ist fast frei von Touristenschaaren. Hier produzierten Wein- und Olivenbauern bis vor wenigen Jahren fast nur für den Bedarf der Familie oder maximal des Ortes, in den Dorflokalen kochte Mama. Ein kulinarischer Glücksfall! Das dachte sich auch der Wiesbadener Weinliebhaber Kurt Wahler, der vor zehn Jahren hier ein Feriendomizil mitten auf dem Land baute. In einer wachsenden Zahl an Olivenhainen erntet der heute 71jährige mit Helfern zentnerweise sonnengereifte Oliven per Hand und produziert ein sehr aromatisches Öl. Und seit fünf Jahren hat Wahler die alten Weinberge rund um sein Haus wieder rekultiviert und ist mit seiner Cantina Corrado nun der älteste Jungwinzer Italiens.
Wahlers Cantina Corrado befindet sich im Hinterland des Adria-Badeortes San Benedetto del Tronto, rund zehn Kilometer vom Meer entfernt auf rund 350 Metern Höhe und mit Blick auf die Gipfel des Apennin. Dieses Gebiet rund um den Ort Acquaviva Picena mit seiner enggassigen Altstadt und wuchtigen Burg ist für den Weinbau ideal. Die Böden sind lehmig-mineralisch, halten gut die Feuchtigkeit der kühlen Nächte, wenn tagsüber die Sonne auf die steilen Weinberge brennt. Die Cantina Corrado (www.cantinacorrado.de) produziert bisher erst drei verschiedene Weine: Der Weißwein Pecorino DOCG ist typisch für die Region. Er schmeckt sehr rund mit Anklängen an frische Früchte und weiße Blüten. Der Rosso DOCG aus der Montepulciano-Traube erinnert in Geruch und Geschmack an rote Früchte mit Anklängen an Lakritze und Schokolade. Jüngstes Produkt ist der Rosato: Traditioneller roséfarbener Wein der Region, je zur Hälfte aus den roten Trauben des Sangiovese und des Montepulciano wie ein Weißwein ausgebaut, ein idealer Sommerwein für lange Abende.
Behutsame Ernte und Verarbeitung, dazu höchste ökologische Ansprüche an Anbau und Produktion – „Jungwinzer“ Wahler will nach eigenen Worten vor allem „ehrlichen“ Wein produzieren. Dass ihm das gelingt, davon können sich die Teilnehmer seiner Weinreise beim Get Together in der Cantina Corrado überzeugen. Neben der Weinprobe steht dort ein zweiter Punkt auf dem Programm: Eine Olivenöl-Blindverkostung mit diversen Ölen der Region inklusive Wahlers Olio Marchen (oliva@olio-marchen.it), welches würzig heraussticht. Das Geheimnis des besonderen Geschmacks: Jede Tagesernte wird sofort in der Ölmühle verarbeitet – das ist wichtig, damit das Öl frisch und ohne Beigeschmack ist. Jeder Tag der Lagerung würde den Geschmack und den Gehalt an wertvollen gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen verändern. Das Deutsche Olivenöl Panel gab dem Olio Marchen die höchste Auszeichnung: „Überragend“
Gleich am anderen Ende von Acquaviva Picena zum Beispiel das Weingut von Paolo Cherri, der in dritter Generation mittlerweile einen recht großen Betrieb aufgebaut hat. Pecorino, Passerina und der Rosso haben vor Kurzem ähnlich wie Wahlers Weine die prestigeträchtige Ursprungbezeichnung DOCG erhalten. Darüber hat Cherri noch die Premiumlinie Zenith aufgebaut. Unter anderem mit den zwei im Barrique ausgebauten Rotweinen „Tumbulus Offida Rosso DOC“ und „Laudi Rosso Piceno Superiore DOC“ sowie mit dem spritzigen Pecorino-Sekt „Brut“. Die Weine verkostet Paolo Cherri mit Wahlers Gästen gerne auch beim Abendessen im Ristorante la Paesana, dem Geheimtipp für typische Marken-Küche mit verschiedenen Pasta-Platten zum Probieren für die kleine Gruppe. Zu jedem Wein gibt es eine kleine Geschichte über den Boden, die Ernte und die Verarbeitung, so dass einem die guten Tropfen bald wie alte Bekannte vorkommen.
Das la Paesana in Acquaviva bietet sich den Tour-Gästen auch für ein kräftiges Frühstück mit Schinken und Käse aus der Region an. Vom Restaurant aus geht es direkt gegenüber hoch in die Altstadt von Acquaviva Picena bis zur Burg. Die Festung, deren Bergfried wie die klassische Vorlage einer Turm-Schachfigur aussieht, wurde um 1300 errichtet. Im Inneren ist ein kleines Museum, aber am eindrucksvollsten ist hoch oben der Rundblick, der von der Adria bis zu den imposanten Gipfeln des Gran Sasso und Majella im Apennin reicht. Noch einmal rund 80 Kilometer dahinter beginnt schon der Großraum Rom, auf dessen geografischer Linie sich die Marken östlich befinden.
Ausflüge, Ausblicke und auch ein wenig Sport lockern zwischen den einzelnen Weinproben auf und bringen den Körper wieder in Schwung. Kurt Wahler hat für die kleinen Pausen zwischendurch vor dem Cantina-Wohnhaus eine Boule-Bahn gebaut, auf der er bei jeder Genussreise im Turniermodus die Boule-Meisterin und den Boule-Meister von Acquaviva kürt. Erschwerend für die Treffsicherheit der Teilnehmer wird aber auch hier auf Wunsch Pecorino und Rosato der Cantina Corrado freigiebig ausgeschenkt…
Wer weiteren Ausgleich braucht, kann für einen halben Tag lang auch in San Benedetto auf der Strandpromenade Seeluft schnuppern, den Fischern beim Einlaufen mit ihrem Fang zusehen oder je nach Jahreszeit am Sandstrand baden. Der beschauliche Badeort, der zu 95 Prozent italienische Touristen anzieht, besitzt auch jede Menge Boutiquen, Straßencafés und Eisdielen (empfohlen sei die Gelateria Cremose an der zentralen Piazza Garibaldi). Wer nicht bei einzelnen Agritourismi und kleinen Läden auf dem Land seine kulinarischen Mitbringsel für die Lieben daheim einzeln kaufen möchte, kann auch im Tiefgeschoß des Buchladens Mondadori in der Via Antonio Gramsci 2 gesammelt lokale Spezialitäten von selbstgemachten Nudeln über Soßen bis zu Dolci deutlich über dem Qualitäts-Niveau der Supermärkte einkaufen.
Der Genuss wäre nicht perfekt, wenn die Marken-Erkunder nicht auch den absoluten Restaurant-Geheimtipp der Region erkunden würden: die Osteria Pepenero in Cupra Maritima, wenige Kilometer nördlich von San Benedetto an der Adriaküste, hoch oben in der Altstadt in der Via Castello, die nur als Fußweg erreichbar ist. Hier hat seit 2013 Michele Alesiani, einer der allerbesten Köche der Region, lange Jahre Mitglied in der Vereinigung der Jeunes Restaurateurs d’Europe, in einem Kellergewölbe ein Erlebnislokal der besonderen Art geschaffen. Nichts ist übertrieben, aber alles speziell. Gemütliche Ecken werden von Gemälden und Installationen moderner Kunst überragt, alte Gänge werden zu lauschigen Rückzugsorten, Küchenmaschinen im Raum springen ins Auge und demonstrieren Micheles Hang zum Einfachen und trotzdem Besonderen. Ganz besonders sind dann vor allem die Gerichte. Unter sieben Gängen geht im Pepenero nichts.
Von so viel spezieller Küchenkunst der Marken inspiriert, können sich Genussreisende am letzten Abend dann noch selbst in der Küche eines landestypischen Lokals austoben: „Pasta-Herstellung mit Trüffel und anschließender Weinverkostung“ lautet der Programm-Höhepunkt. Schauplatz ist die gemütliche Gaststube mit offenem Kamin im Bio-Bauernhof Agritourismo Iervascio von Marino Giannetti (https://agriturismo-iervascio.business.site). Hier können die Marken-Entdecker in der geräumigen Küche vor dem Holzofen die traditionelle Zubereitung von Marken-Spezialitäten erlernen. Etwa die Herstellung von Olive Ascolane – Oliven nach Ascoli Art. Eine typische Spezialität der Marken. Es handelt sich um kleine Hack-Bällchen aus Fleisch und Gemüse, das zuvor gekocht und durchgedreht wurde. Das Schwierigste an der Zubereitung ist das Entkernen der Oliven. Jede Olive muss spiralenförmig entkernt werden, um dann die Füllung hineingeben zu können. Das Ganze wird dann wiederum überbacken und ist ein unwiderstehliches Fingerfood als Vorspeise.
Für den Hauptgang lernen die Teilnehmer Teigtaschen zu füllen und dünne Nudelplatten für die ganz eigene Lasagne der Marken herzustellen, die Vincisgrassi. Laut Legende wurde diese für die Marken typische Lasagneart zu Ehren des österreichischen Generals Windisch Graetz erfunden, der bei der Belagerung Anconas im Jahr 1799 gegen die Truppen Napoleons gekämpft hatte. Das traditionelle Gericht wird gerne an Sonn- und Feiertagen zubereitet und schichtet zwischen den Teigblättern Ragù von Hühnerklein und Kalbshirn, obendrauf gibt es Bechamelsauce und Käse.
Ganz obendrauf gibt es im Agritourismo Iervascio dann noch Trüffel der Region. Je nach Jahreszeit und generell natürlich nicht so extrem intensiv im Geschmack wie die Klassiker aus Alba. Aber doch eine schöne Verfeinerung für die selbstgemachten Spezialitäten. René van Stokrom (www.vsclassic.com) hat es wie Kurt Wahler aus Hessen in die Marken verschlagen. Hier hat er sich auf die Trüffel – weiße wie schwarze – spezialisiert und gibt zu den Kochkursen im Iervascio gerne seine „Schätze“ zum Probieren dazu.
Wer hätte es gedacht? Eine so unbekannte und recht übersichtliche Region wie die Marken beherbergt so unterschiedliche Weinproduzenten. So unterschiedliche Geschmäcker sowohl beim Wein als auch bei der Küche, die auch für Italien-Kenner durchaus Überraschungen parat hat. Somit ist die Wein- und Genussreise der Cantina Corrado von Kurt Wahler die ideale Möglichkeit, tief in die Geheimtipps der Marken einzutauchen. Ob im Frühjahr, Sommer oder Herbst. Die nächsten Reiseplanungen laufen, die Zahl der wissenden Insider wächst. Infos und Anmeldungen unter: www.cantinacorrado.de